Von oben herab
Die meisten Deutschen interessieren sich nicht für Polen. Und finden das auch nicht weiter schlimm. Erfahrungen einer Deutschpolin VON ALICE BOTA
aus DIE ZEIT Nr. 26 vom 21. Juni 2007
Die Woche wird lang sein, für Angela Merkel, für die Kaczyński-Zwillinge – und für mich. Die Kaczyńskis werden in Brüssel sein, sie werden auf ihrer Quadratwurzelformel beharren, Angela Merkel wird um ihre EU-Verfassung bangen, und ich werde die schadenfrohen Schlagzeilen lesen. Mal wieder die Polen, wird es heißen. Ich werde zustimmen: »Ja, die Haltung zur EU-Verfassung ist schlimm.« Und zögerlich hinzufügen: »Aber ...«
Als Deutsche kann ich die Wut über die Unberechenbarkeit der Polen verstehen, zumal ihr Quadratwurzelvorschlag sechs, sieben Jahre zu spät kommt und 26 andere Staaten an ihre Nationalinteressen erinnern könnte. Aber als Polin, aufgewachsen mit einem deutschen Nachnamen in einem polnischen Ort, mit einem Großvater an der Ostfront und dem anderen im deutschen Arbeitslager, ist mir die polnische Seite nicht fremd. Die meisten Polen sind EU- Anhänger und halten die Kaczyńksi-Regierung für durchgeknallt. Dennoch unterstützen mehr als 40 Prozent die Quadratwurzelformel. Ist denn die Angst davor, in der EU auf Jahrzehnte Machtverhältnisse festzuzurren, wirklich so verrückt? Für berechtigt halte ich diese Ängste nicht, aber: für verständlich.
Polen stand schon immer allein da, von Verbündeten verlassen: bei der Dreiteilung im 18. Jahrhundert. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Als Jaruzelski das Kriegsrecht ausrief. Als mein polnischer Großvater vor Jahren Entschädigung für die Zeit im deutschen Arbeitslager bekam, konnte er verzeihen. Groll gegen die Deutschen hegte er nie. In Deutsch-
land aber flüsterten nicht wenige hinter vorgehaltener Hand: Dass die Polen auch nie genug kriegen können. Da war es wieder, das eigentliche Drama. Sein Kern ist nicht Polens Haltung zur EU-Verfassung, wie viele meinen. Sondern, dass Deutsche auf Polen herabschauen, sich nicht für sie interessieren, sie nicht verstehen.
Vor einigen Jahren zeigte ich einem deutschen Politikstudenten Polen. Er, Mitte zwanzig, studierte in Deutschland, eine Stunde von der polnischen Grenze entfernt. Eine Stunde! Der Student war zum ersten Mal in Polen. Wir gingen an einer
Bronzestatue vorbei, ich sagte, das sei Adam Mickiewicz. Ganz beiläufig.
»Adam wer?«, fragte er. »Na, Adam Mickiewicz«, antwortete ich. »Der Nationaldichter.« Stille. Und ich tat, was Polen manchmal im Gespräch mit Deutschen tun; ich wechselte die Seiten und ließ mich auf einen Diskurs ein, der deutschbestimmt war, obwohl wir doch in Polen waren und es um einen polnischen Dichter ging, um den polnischen Goethe halt. Um jenen Mann, der mit seinen Versen das polnische Nationalgefühl nährte, als das Land wie ein Blechkuchen zwischen drei Mächten aufgeteilt wurde!
Der Student schaute auf die Statue und zuckte mit den Schultern. Wir gingen weiter. Sein Nichtwissen war ihm nicht unangenehm, die kulturelle Ignoranz empfand er nicht als solche. Den Namen hat er sich nicht für einen Augenblick gemerkt.
So läuft es noch immer: Mit Befremden sehen Deutsche die Ausflüge in den neu entdeckten National stolz, schauen den Polen zu wie einem Pubertierenden, der sich in seiner neuen Identität ausprobiert und keinen Exzess auslässt. Der Blick aus dem Westen ist einer von oben nach unten. Wenn man Polen kennt, die wenigen weltberühmten, dann jene, bei denen man das Polnische nicht mehr vermutet: Chopin. Kopernikus. Polanski.
Wenn schon das Polnische, dann am liebsten jene östliche Rauheit, die Aufgebrachtheit, den übersteigerten Fatalismus und Moralismus, die irgendwie faszinieren und belustigen. Wenn polnische Hinterbänkler vorschlagen, Miniröcke zu verbieten, wenn verrückte Politiker prüfen wollen, ob die Teletubbies homosexuell und jugendgefährdend sind, schauen
alle gen Osten: Da haben wir’s ja. Der wilde Osten. Würde man den Blick schärfen, wüsste man: So wild ist er gar nicht. Und schlechte Europäer sind die Polen schon gar nicht.
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